Der hier veröffentlichte Text ist dem vollständigen Yachttest der Zeitschrift "Yacht" entnommen. Sie können die PDF-Datei mit dem vollständigen Artikel downloaden. Dieser Artikel enthält aussagekräftige Bilder, detallierte Diagramme, Vergleiche zu anderen Yachten sowie präzise technische Angaben. Autor: Michael Good, Heft 21/2013
Yachttest der Oceanis 38
Oceanis 38: Konkurrenz im kleinen Segment
In den letzten Jahren hat sich Beneteau vor allem um die Entwicklung der größeren Yachten gekümmert – vorgestellt wurden neue Modelle ab zwölf Meter Rumpflänge. Das mittlere und das kleine Segment dagegen erhielten weniger Aufmerksamkeit. Dies aus gutem Grund, wie der französische Großserienhersteller mitteilt. Die Modelle Oceanis 31, 34 und insbesondere die 37er hätten sich als echte Verkaufsschlager erwiesen und erfreuen sich immer noch einer starken Nachfrage, trotz mittlerweile mehr als fünf Jahren Marktpräsenz – was eine heute selten lange Verweildauer darstellt.
Derweil hat die Konkurrenz aber nicht geschlafen. Bavaria, Dufour, Hanse und Jeanneau haben fleißig weiterentwickelt und neue Trends definiert: breite Hecks mit großen Badeplattformen, Rümpfe mit noch mehr Volumen und diverse Wahlmöglichkeiten für die Käufer.
Oceanis 38: Ein Boot für viele Einsätze
Mit einem aufregend neuen Konzept möchte Beneteau jetzt aber nicht nur nachziehen, sondern überholen und sich innovativ an die Spitze setzen. Der Leitgedanke der Offensive: Ausgehend von einem vergleichsweise günstigen, aber auch nur minimal ausgestatteten Basisboot haben die Kunden die Möglichkeit, ihr Schiff im Rahmen von modularen Ausbaustufen gezielt auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen. Dazu hat die Werft die bestellbaren Optionen in vielen gut durchdachten Paketen gebündelt. Damit der Kunde das umfangreiche Angebot schon vorab einordnen kann, gibt es drei funktional gegliederte Grundvarianten als Versionen Daysailer, Weekender und Cruiser.
Die Version Daysailer ist dabei das Basismodell; den Komfortansprüchen von Tourenseglern genügt es nicht. Innen ist das Boot durchgehend offen, es gibt keine Türen achtern und auch kein Hauptschott zum Vorschiff. Pantry und Navigation sind auf ein Minimum beschränkt, und hinten bleibt das Schiff leer. Auch ein Salontisch ist für diese Version nicht vorgesehen, und es ist weder eine Warmwasser - noch eine Gasversorgung installiert. Außen bleibt das Boot ebenfalls so einfach und reduziert wie möglich. Badeplattform und Cockpittisch sind nicht vorhanden, ebenso wenig eine Ankerhalterung. Die Version Daysailer ist programmatisch: kurzer Segelspaß, simple Technik, keine Törntauglichkeit.
Die Ausführung Weekender wiederum ist für Segler gedacht, die auch mal für ein paar Tage losfahren, meist ohne Kinder oder Gäste. Sie hat eine größere Pantry mit Ofen, Gasherd und Kühlschrank, und das Vorschiff wird auf Wunsch abgetrennt. Zudem ist sie schon mit der klappbaren Badeplattform am Heck ausgestattet sowie dem Targabügel über dem Cockpit.
Das familientaugliche Cruiser-Modell schließlich richtet sich an anspruchsvolle Tourensegler. Diese „Voll-Version“ erhält ab Werft einen Innenausbau als Zweikabiner mit achtern quer eingesetzter Koje oder als Dreikabiner mit zwei längs angeordneten Kammern. Das Hauptschott zum Vorschiff ist standardmäßig bereits eingebaut, Pantry und Navigation sind erweitert. Dazu bietet der Salon ein U-Sofa und einen absenkbaren Salontisch, mit dem sich das Schlafangebot unter Deck auf bis zu acht Plätze erweitern lässt. Und Badeplattform, Targabügel, Cockpittisch und Ankerhalterung gehören ebenfalls zum Ausstattungsumfang. Nur die Cruiser-Version lässt sich funktional als auch preislich tatsächlich mit den Yachten der Konkurrenz vergleichen.
Oceanis 38: Freie Wahl
Der eigentliche Clou des Konzepts aber ist eine nahezu beliebige Durchmischung fast aller Möglichkeiten. Die wesentlichen, optionalen Anbauteile wie zum Beispiel die lange Pantry, die Badeplattform oder der Targabügel sind nur angeschraubt, nicht anlaminiert. Die Teile lassen sich über den Beneteau-Händler nachrüsten beziehungsweise rückbauen. So ist es möglich, das Boot auch nachträglich noch an die eigenen Wünsche anzupassen, zum Beispiel bei geänderten Familienverhältnissen oder nach einem Gebrauchtkauf. Ein demnächst verfügbarer Online-Konfigurator soll dem Kunden (und den Händlern) helfen, sich im Dschungel des Machbaren zurechtzufinden.
Das Hauptschott zum Vorschiff lässt sich sogar mit wenigen Handgriffen kurzfristig ausbauen. Bei unserem Testboot, der Drei-kabinen-Cruiser-Version, entfernten wir die vierteilige Wand probeweise. Mit etwas Übung schaffen zwei Personen diese Aufgabe in einer halben Stunde.
Im Rahmen eines Exklusivtests setzte die YACHT als erstes Magazin überhaupt an Bord der Oceanis 38 die Segel. Bei Leichtwind um 8 Knoten kommt die Neue zügig in Fahrt und beweist mit der Standardbesegelung (einfaches Groß und 103-Prozent-Genua) ein ordentliches, erwartungsgemäßes Leistungspotenzial. Das Boot erreicht 5,9 Knoten Speed auf einem Winkel von 45 Grad zum Wind.
Über den Erwartungen liegt die Drehfreudigkeit der Yacht. Erstmals überhaupt hat Beneteau einem herkömmlichen Tourer doppelte Ruderblätter angebaut. Damit lässt sich die Konstruktion von Finot/Conq ausgezeichnet manövrieren (auch unter Maschine) und bestens an der Windkante lenken. Und die zwei Steuerprofile bringen mehr Kontrolle bei viel Wind und Krängung.
Oceanis 38: Polarisierende Optik
Ebenfalls neu in Beneteaus Cruiser-Programm: der im Vergleich tiefgehende T-Kiel in der Standardausführung. Bisher hat die Werft für seine Tourer exklusiv L-Kiele verbaut. Der Grund für diese Maßnahme: Weil der Mast bei der Oceanis 38 sehr weit achtern steht (auf 41 Prozent der Rumpflänge) und die Werft dennoch eine harmonische Auftriebsverteilung erzielen wollte, muss der Kiel den Gewichtsschwerpunkt weiter nach vorn bringen. Dies lässt sich relativ einfach mit T-Kiel und Torpedo-Bombe erreichen, zudem leitet ein Ballastträger dieser Art weniger Torsion in den Rumpf ein.
Außerdem fällt der Vorschiffsbereich extrem voluminös aus, damit das Boot mit seinem breiten Heck auch bei Krängung noch ausgewogen segelt und nicht aushebelt. Mit einem Freibord von 1,50 Metern im Bugbereich stellt die Oceanis 38 im Klassenvergleich einen neuen Höhenrekord auf. Am Heck misst der Freibord dagegen nur noch knapp 1,10 Meter. Das relativ starke Gefälle des Decks vom Bug zum Heck vermittelt dem Schiff eine ganz eigenständige Optik, unterstützt von den ausgeprägten Chines, die sich bis zum Bug durchziehen.
Der auffällige Targabügel über dem Cockpit mag optisch nicht jedermanns Geschmack treffen, er bietet aber funktional eine Menge Vorteile, etwa zum Montieren von Sprayhood oder Kuchenbude. Dazu bringt der Bügel den Holepunkt der Großschot nahe zum Baum, womit sich das Segel einfacher und effizienter trimmen lässt. Wie erwähnt, ist er als Option und Ausbaustufe erhältlich. Beim Basisboot ohne Bügel würde die Großschot über eine einfache Hahnepot oder auf den Cockpitboden geschotet.
Als Extra ist die Oceanis 38 auch mit Selbstwendefock zu haben – ein gewichtiges Verkaufsargument vor allem für den Handel in Nordeuropa. In Vorbereitung ist zudem eine Variante mit elektrohydraulischem Schwenkkiel, die zur kommenden Saison erhältlich sein soll. Damit wird das Boot trockenfallen können.
Oceanis 38: Gemütlichkeit ist Trumpf
Mit dem ausgebauten Hauptschott weist das Interieur ein ungewöhnlich großzügiges, loftartiges Raumgefühl auf. Die riesigen Rumpffenster bieten zudem nicht nur ein spannendes Hafen- und See-Kino, sondern lassen tagsüber auch jede Menge Licht ins Boot. Mit dem standardmäßigen Ausbau im hellen Eichefurnier präsentiert sich der Innenausbau überaus wohnlich. Und nachts wird es bei künstlicher Beleuchtung geradezu heimelig – indirektes Licht aus den seitlichen Wegerungen und eine Reihe von LED-Leuchten sorgen für ein angenehmes Ambiente. Schade nur, dass die Deckenstrahler einzeln ein- und ausgeknipst werden müssen, eine zusammenfassende Schaltung fehlt.
Das Vorschiff bleibt bei allen Varianten gleich. Schläft man wie vorgesehen mit dem Kopf nach vorn, fällt die Koje auf Schulterbreite mit 1,30 Meter für zwei Erwachsene knapp aus. Mit den Füßen voran ruht man mit mehr Bewegungsfreiheit (1,50 Meter). In der Achterkabine (Dreikabinen-Version) sind die Platzverhältnisse durchschnittlich. Auch hier schläft man bequemer mit dem Kopf nach hinten. Die Version mit zwei Kabinen und achtern quer eingebauter Koje zeichnet sich dagegen durch mehr Komfort aus. Auf Schulterbreite ist dieses Bett über zwei Meter breit.
Das im Vakuum-Injektionsverfahren gefertigte Deck bietet eine gute Schall- und Wärmeisolierung; beim Segeln und im Manöver bleiben die Geräusche unter Deck in erträglichem Rahmen. Der Rumpf besteht aus handaufgelegtem Volllaminat, ist allerdings nicht in allen Bereichen mit Topcoat ausgestrichen. Wer hinter die Kulissen späht, kann dort auch mal unversiegeltes Laminat erkennen. Ansonsten erscheinen Rumpf und Ausbau von ordentlicher Machart, grobe Unzulänglichkeiten sind nicht zu finden.
Oceanis 38: Andere Maßstäbe
Eine gesonderte Betrachtung verdient die Stauraum-Situation. Konzeptbedingt sind Unterbringungsmöglichkeiten im Vorschiff und auch achtern bescheiden. Große Stauvolumen wie zum Beispiel einen Kleiderschrank gibt es nicht beziehungsweise für achtern nur als Extra im Paket gegen Aufpreis. Dafür bietet Beneteau ein flexibles Stausystem mit abnehmbaren Packtaschen an. Für den Einsatz als Daysailer oder Weekender mag diese Lösung sinnvoll sein – für einen ausgewiesenen Familientourer allerdings fehlen die festen Staufächer, zum Beispiel für Bettzeug, Kleider oder andere Dinge, die man an Bord zurücklässt. Mit lediglich einer brauchbaren Backskiste im Cockpit sind auch an Deck die Gegebenheiten unterdurchschnittlich. Zusätzliche Segel müssen innen aufbewahrt werden.
Ebenfalls nur bedingt mit der Konkurrenz vergleichbar ist die Preispolitik für das neue Oceanis-Konzept. Beneteau wirbt mit einem relativ sehr günstigen Basispreis von 114 995 Euro. Interessierte müssen aber wissen, dass es dafür vorerst nur die schmal ausstaffierte Grundversion als Daysailer gibt. Erst nach Ausstattungsbereinigung zum Cruiser (21 420 Euro Aufpreis im Paket) lassen sich die Preise gegenüberstellen. Mit 136 415 Euro nimmt die Touren-Version in der Wettbewerbsübersicht (Seite 25) preislich eine mittlere Position ein.
Fazit: ein Boot, drei Ausrichtungen – so viel Wandelbarkeit ist auch für die großen Werftserien neu. Ob das Konzept greifen kann, wird sich zeigen. Beneteau jedenfalls ist zuversichtlich und plant schon die Umsetzung als Ersatz für die kleineren Typen Oceanis 31 und 34. Die Idee ist einmalig. Die Werft hat sich für ihre Realisierung Zeit genommen und gründlich nachgedacht.
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