Yachttest der Sun Odyssey 410
Sun Odyssey 410: Gute Ideen
Gute Ideen verdienen es, ausgezeichnet zu werden. Das hat der Sun Odyssey 440, die vorigen Herbst debütierte, den prestigeträchtigen Titel als Europas Yacht des Jahres verschafft. Der Grund für die Auszeichnung war nicht zuletzt die komplett neuartige Decksgestaltung, die bei Jeanneau inzwischen zu einem festen Begriff geworden ist: „Walkaround-Cockpit“. Klar, dass sich diese Innovation auch bei der neuesten Sun Odyssey findet, der 410.
Der Clou: Die seitlichen Laufdecks fallen von der Schiffsmitte bis zum Heck auf das Niveau des Plichtbodens ab. Zwischen Süll und Deckskante ergeben sich so beidseitig regelrechte Kanäle, in denen die Crew barrierefrei aufs Vordeck gelangt, ohne dazu über den Cockpitrand klettern zu müssen. Die Idee wurde von Konstrukteur Philippe Briand in Zusammenarbeit mit den Entwicklern bei Jeanneau ausbaldowert und mit den Modellen Sun Odyssey 440 und 490 zugleich vorgestellt. Zwischenzeitlich haben die Yachtbauer in Les Herbiers aber weiter am Aufbau der nunmehr achten Generation des Fahrtenprogramms getüftelt; in aller Stille haben sie ein neues, etwas kleineres Schiff für die bei Eignern und Vercharterern gefragte Zwölf-Meter-Klasse entwickelt. Allerdings kam als Konstrukteur diesmal nicht Briand zum Zug, sondern Marc Lombard, Jeanneaus Partner für das kleinere und mittlere Längensegment.
Die 410 ersetzt die Sun Odyssey 419, welche vor zwei Jahren als Überarbeitung der 409 ins Programm kam. Diese wiederum stammte aus dem Jahr 2010 und war höchst erfolgreich, auch sie Siegerin bei Europas Yacht des Jahres. Nach bald acht Jahren sah Jeanneau jetzt die Zeit für eine Neukonstruktion gekommen.
Kaum, dass die Sun Odyssey 410 angekündigt war, lagen auch schon die ersten beiden Prototypen im Wasser. Die YACHT konnte in Les Sables d’Olonne an der französischen Westküste als erstes Fachmagazin an Bord gehen
Sun Odyssey 410: Rundlauf mit Kompromissen
Dabei stand zunächst die Frage im Raum, ob das Walkaround-Konzept an Deck überhaupt aufgeht – denn es ist bei kleiner werdenden Maßen immer schwieriger zu realisieren. Die 440 etwa bietet allein in der Breite 30 Zentimeter mehr Spielraum.
Folglich muss die Crew auf der 410 mit Kompromissen leben. Das Cockpit fällt etwas schlanker aus als bei einem Boot gleicher Breite mit herkömmlichem Layout. Die Einschränkung stört letztlich aber kaum. Es bleibt in der Plicht immer noch genug Platz für einen recht wuchtigen Cockpittisch mit großen ausklappbaren Seitenteilen.
Nur wer genau hinsieht, kann erkennen, dass der Tisch nicht ganz symmetrisch gebaut ist und zudem leicht schräg montiert zu sein scheint. Mit diesem Kniff erleichtert die Werft die Passage durch die Plicht. Aus dem gleichen Grund hat sie auch den Niedergang um vier Zentimeter zur Backbordseite verschoben. Selbst auf den zweiten Blick fallen diese Asymmetrien kaum wirklich auf.
Deutliche Zugeständnisse fordert das Walkaround-Konzept dagegen für den Rudergänger; für ihn bleiben nur kümmerlich kleine Sitzflächen hinter dem Rad übrig. Seitlich Platz nehmen geht auch kaum, weil dann die Drähte des doppelt geführten Achterstags die Bewegungsfreiheit einschränken. Die einzig praktikable und sichere Position bleibt also, hinter dem Rad zu stehen, was bei langen Schlägen oder in schwerer See ermüdend sein kann.
Dagegen bietet die neuartige Cockpitgestaltung wesentliche Vorteile für die Abläufe im Manöver. Zum Bedienen der Winschen kann man auf der 410 seitlich in den Decksvertiefungen stehen und in guter Höhe mit viel Kraft und Übersicht kurbeln, was bei vielen modernen Konstruktionen mit achtern konzentrierten Winden nicht mehr geht. Auch der Steuermann ist so in der Lage, die Leinen zu erreichen, ohne dafür die Kontrolle am Rad aufgeben zu müssen. Die Manöver klappen damit auch im Einhandbetrieb bestens.
Sun Odyssey 410: Vorteile im Manöver
Die Schoten für Vor- und Großsegel sind beidseitig über den Süllrand zurückgeführt und werden beim Wenden und Halsen wechselseitig umgelegt und abgestoppt. Was gerade nicht gebraucht wird, kann auf dem abgesenkten Laufdeck liegen, ohne in der Plicht zu stören. Der Ordnung und Übersicht zuträglich ist, dass Fallen, Reff- und Trimmleinen räumlich getrennt am Niedergang bedient werden. Damit bleibt das
Cockpit weitgehend unbeeinträchtigt von den Funktionen zum Setzen und Trimmen der Segel.
Die Walkaround-Lösung ist bis auf die eingeschränkte Position des Rudergängers also sinnvoll umgesetzt. Man muss sich nur daran gewöhnen, dass man hindernisfrei um die Steuersäulen herumkommt. Im Test zeigte sich, dass selbst die Werftmannschaft von Jeanneau instinktiv den kurzen Weg über die Süllränder sucht, um schnell aufs Vorschiff zu gelangen. Was wohl auch damit zusammenhängt, dass achtern zumindest auf einer Seite der Durchgang durch den Steuermann belegt ist.
Sun Odyssey 410: Eigenwillige Rumpfform
Ihre markanten und bis zum Bug durchgezogenen Chines, ein leicht negativer Steven sowie das breite Heck mit den zwei Ruderblättern prägen die Optik der Sun Odyssey 410. Der Bezug zu den aktuellen Vertretern im Hochsee-Rennzirkus, etwa zur Class 40, ist kaum übersehbar, auch wenn die Yachten dort weit flacher bauen. Als Konstrukteur von zahlreichen Rennern modernster Prägung kann Marc Lombard aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen.
Auffällig ist insbesondere die extrem voluminöse Bugsektion der Jeanneau mit den beinahe lotrecht abfallenden Flanken. Auch dieses Konstruktionsmerkmal entstammt den neuesten Erkenntnissen bei der Formgebung von Offshore-Racern und hat zudem Vorteile für die Ausbaumöglichkeiten unter Deck. Ein Vergleich belegt dies eindrucks- voll: Die Decksfläche ist beim neuen Schiff um 13 Prozent größer als beim Vorgängermodell Sun Odyssey 419 – trotz gleicher Länge und Breite.
Konstruktiv verspricht das Konzept also gute Segeleigenschaften und ein beträchtliches Leistungspotenzial, das sich im Test bei zwischen 8 und 10 Knoten Wind jedoch leider nicht vollständig abrufen lässt. Die 410 kreuzt zwar recht flink mit 5,6 Knoten durchs Wasser, wendet dabei aber über einen ziemlich großen Winkel von rund 100 Grad. Hervé Piveteau, Produktentwickler bei Jeanneau, begründet die dürftige Höhe am Wind mit dem Kurzkiel des Testboots; dieser geht lediglich 1,62 Meter statt 2,17 Meter tief. Zu Testzwecken rüstet die Werft grundsätzlich alle Prototypen zunächst mit der schwächsten und schwersten Konfiguration der Rumpfanhänge aus. Piveteau geht davon aus, dass das Schiff mit dem tieferen L-Kiel und Bleibombe wenigstens fünf Grad mehr Höhe laufen sollte.
Der Kurzkiel passt ohnehin nicht recht zur Ausstattung des Testbootes, das über das aufpreispflichtige Performance-Paket verfügt. Dieses umfasst einen rund 65 Zentimeter höheren Mast, Laminatsegel mit knapp fünf Quadratmeter mehr Fläche, ein hydraulisch trimmbares Achterstag sowie Fallen aus dehnungsarmem Dyneema-Material.
Erstaunlich dabei: Die Sun Odyssey kann das Mehr an Vortrieb aus dem Rigg dank ihrer bemerkenswerten Formstabilität gut tragen. Sie segelt auf allen Kursen enorm steif und schiebt kaum mehr als 25 Grad Lage, selbst wenn man die Krängung absichtlich forcieren möchte. Zudem dreht sie lebhaft und lässt sich über die ausgewogen abgestimmte Steuerung auch präzise am Wind führen. Leichter Ruderdruck gibt genau das richtige Maß an Rückmeldung.
Anstelle eines Travellers wird auf der Sun Odyssey 410 zur Führung der Großschot ein einfaches Schotdreieck vor dem Nieder- gang angebaut. Das System ist simpel, leicht und günstig, zugleich aber auch sehr wirksam, weil man hart am Wind den Großbaum bis zur Schiffsmitte ziehen kann. Für die Holepunkte der Genua verzichtet Jeanneau auf die schweren und mit der Zeit meist auch undichten Schienen samt Schotwagen. Statt-
dessen finden sich die ebenfalls einfach zu installierenden, dennoch sehr effizienten 3D-Holepunkte, die aus dem Hochsee- Rennsport stammen. Damit lässt sich der Zugwinkel stufenlos und in alle Richtungen verstellen, was jedoch ein gewisses Maß an Erfahrung und Feingefühl erfordert.
Sun Odyssey 410: Sinnvolles Kajütlayout
Die Eignerkammer im Vorschiff, zwei Doppelkabinen achtern, dazu ein großes Bad mit abgetrenntem Duschabteil – so lautet der übliche Dtandard für den Innenausbau in der Zwölf-Meter-Klasse (siehe technische Daten und Wettbewerber auf der folgenden Doppelseite). Auch Jeanneaus neuer 40-Fußer macht da keine Ausnahme.
Größen- und konzeptbedingt gibt es wenig andere Ausbaualternativen. Bei allen Konkurrenzyachten kann im Vorschiff auf Wunsch eine zusätzliche Nasszelle geordert werden und statt der zweiten Doppelkabine achtern eine üppige Backskiste. Viel mehr Wahlfreiheit bieten die Boote aus der Großserie nicht, sieht man einmal von der neuen und kleineren Dufour 390 ab, die für den Chartermarkt drei Kammern und drei Nasszellen bereithält. Diese Option hat die Sun Odyssey 410 nicht, obwohl die Werft zwischen 25 und 30 Prozent aller Yachten im mittleren Längensegment auf direktem Weg ins internationale Chartergeschäft verkauft.
Sun Odyssey 410: Multifunktionales Sofa
Stattdessen hebt sich Jeanneau, die Nummer 2 weltweit, mit anderen Besonderheiten von der Konkurrenz ab. Ähnlich wie die größeren Schwestermodelle der aktuellen Generation zeigt die 410 eine ungewöhnliche Gestaltung der Hauptkajüte. Die große Pantry liegt dabei näher am Hauptschott als üblich, ist aber nicht als lange Zeile, sondern als großes U ausgeführt. Außerdem hat Jeanneau fast mittig im Salon eine Tageskoje in Form einer Chaiselongue vorgesehen, auf der man sich auch unterwegs mal für ein Nickerchen hinlegen kann.
Das Kanapee lässt sich zudem mit einem Handgriff zur Koje konvertieren, wobei diese mit 1,50 Meter Länge nicht für jedermann ausreicht. Der Salontisch lässt sich in Richtung des Mittelsofas aufklappen, wodurch bis zu sieben Personen bequem zusammen sitzen und essen können.
Wird im Vorschiff eine zusätzliche Nasszelle gewünscht, baut die Werft die Koje vorn nicht mittig in den Raum, sondern seitlich quer ein. Dabei bleiben die Kojenmaße unverändert, mit einer Länge von 2,00 mal 1,50 Metern schläft man hier zu zweit komfortabel. In den symmetrisch angelegten Achterkammern hingegen sind die Kojen mit einer Breite von 1,40 Meter auf Höhe der Schultern eher knapp dimensioniert, zumindest gemessen an der Schiffsgröße.
Ein relativ breiter Servicekanal zwischen den Kammern mit Öffnungen zu den Komponenten der Bordtechnik sowie zum Wellenantrieb nimmt viel Raum ein. Vorbildlich gelöst ist hingegen die Erreichbarkeit der Steuermechanik in der Achterpiek. Große Wartungsklappen im Schott erlauben hier leichte Zugänge für Kontrolle und Wartung.
Sun Odyssey 410: Bekanntes Manko
Scheinbar ist der von uns gesegelte Prototyp nur unter erhöhtem Zeitdruck fertig geworden. In Teilen sind auf dem Schiff noch einige unschöne Mängel in der Endverarbeitung zu sehen: breite Spaltmaße etwa oder gänzlich unbearbeitete Schnittkanten im Möbelbau. Für die anlaufende Serienproduktion wären Nachbesserungen und mehr handwerkliche Sorgfalt wünschenswert.
Wie schon im Test der Sun Odyssey 440 beanstandet, quietschen und knarzen auch beim kleineren Schiff die Bodenbretter unter Belastung erheblich, was im Laufe der Zeit nicht besser werden wird und auf Törn vor allem nachts nerven kann. Das zieht sich nunmehr über viele Jahre wie ein roter Faden durch fast alle YACHT-Tests von Jeanneaus Tourenyachten. Und das Problem bleibt auch beim neuen Schiff leider noch ungelöst. Ein ärgerliches, weil konstruktiv leicht behebbares Manko.
An einer zu spitzen Kalkulation kann es nicht liegen, dass die Werft dies nonchalant übergeht. Für die 410 sind im Standard 196 350 Euro fällig; das ist zwar nur ein geringer Aufpreis von weniger als 4.500 Euro zum Vorgängermodell. Im Vergleich zur Konkurrenz bildet die Sun Odyssey damit aber aktuell das gehobenste Angebot, wenn auch die Abstände zu ihren Wettbewerberinnen zumeist geringfügig bleiben.
Sun Odyssey 410: Erfolgreiche Transplantation
Jeanneau kann so selbstbewusst am Markt agieren, weil die 410 ihresgleichen sucht. Das liegt auch, aber nicht nur am innovativen Walkaround-Cockpit. Dessen Transplantation ins Zwölf-Meter-Segment ist alles in allem gelungen. Und wer den barrierefreien Zugang zum Deck nicht allzu hoch bewertet, findet in dem Boot dennoch genügend andere Alleinstellungsmerkmale, die für sich genommen attraktiv erscheinen – den bullig-sportiv wirkenden Rumpf etwa, das Plus an Lebensraum und die ungewöhnliche Salongestaltung.
Hier finden Sie eine Übersicht von Testberichten zu allen Yachten