Yachttest der Oceanis 51.1
Oceanis 51.1: Mit eigenem Profil
Es mangelt nicht an Attraktionen am „Ponton Vendée Globe“ im Port Olona. Der lange breite Steg bildet alle vier Jahre die Bühne für den Start der gleichnamigen Nonstop-Regatta um die Welt. Selbst jetzt, ein halbes Jahr nach Ende des Rennens, liegen noch einige Open 60 in Les Sables vertäut, dazu ein halbes Dutzend Mini-Transat-Flitzer, zwei Class 40. Es ist wie eine Freiluftausstellung für Einhand-Boliden.
Mitte Juli aber zieht eine andere Yacht die Blicke der Passanten auf sich, wird umlagert, bestaunt, studiert. Selbst Profis wie der dreifache Vendée- Globe-Teilnehmer Arnaud Boissières bleiben neugierig vor ihr stehen, lassen sich das Konzept erläutern – was wohl auch daran liegt, dass ihre Konstrukteure Anleihen beim Hochsee-Rennsport genommen haben: der auf Deckshöhe nach innen abgekantete Rumpf zeugt davon, das voluminöse Heck, das die maximale Breite bis ganz nach achtern führt, die Doppelruderanlage.
Zwar dienen diese Merkmale anderen Zwecken als bei einem 60-Fuß-Racer der Imoca-Klasse. Sie signalisieren gleichwohl, dass Beneteau mit Macht versucht, sich von dem abzusetzen, was im Englischen etwas despektierlich als „AWB“ gilt, als „Average White Boat“. Auf Deutsch: ein Nullachtfünfzehn-Boot aus Großserie, günstig, zweckmäßig, aber ohne eigenes Profil – eine Yacht ohne besondere Eigenschaften.
Oceanis 51.1: Unverwechselbare Ästhetik
Das genau soll die Oceanis 51.1 nicht sein. Und dem Andrang im Hafen von Les Sables d’Olonne an der französischen Atlantikküste nach zu schließen, scheint der Versuch der Differenzierung zumindest auf den ersten Blick geglückt.
Tatsächlich vermittelt die 15-Meter-Yacht, der bald drei weitere, durchweg kleinere Modelle nachfolgen sollen, schon von Weitem einen Eindruck von Herausgehobenheit. Konstrukteur Olivier Racoupeau und das Mailänder Team von Nauta Design haben es geschafft, die durchaus sehr fülligen Linien attraktiv zu verpacken.
Schmal geschnittene Kajütfenster, die im farblich abgesetzten Süllrand des Cockpits ihre Fortsetzung finden, strecken die Silhouette. Die großen, in formschön modellierten Rezessen eingeklebten Rumpffenster brechen den hohen Freibord. Und selbst das lotrecht abfallende Heck wirkt nicht wie ein Kreidefelsen; zwei Sicken in der Badeplattform sowie die überstehenden Sitzflächen hinter den Steuersäulen konturieren die Flächen gekonnt. Wüsste man nicht, dass es eine Beneteau ist, man könnte die 51.1 für ein Boot anderer, gehobener Herkunft halten.
Und dann ist da natürlich noch diese so ganz und gar ungewöhnliche Kimmkante im Bugbereich. Sie erscheint einerseits fremd, andererseits verleiht sie der Yacht ein eigenständiges Erscheinungsbild: modern, prägnant, vorwärtsstrebend. Direkt von vorn betrachtet sieht es so aus, als blicke einen die Oceanis sprungbereit lauernd an. Die optische Wirkung ist jedoch allenfalls ein Nebeneffekt.
„Die neue Spantform bringt mehr Breite im Vorschiff und Salon, ohne bei Leichtwind die benetzte Fläche zu vergrößern“, erklärt Gianguido Girotti, der als Marketingchef auch der Produktplanung und Entwicklung der weltgrößten Sportbootwerft vorsteht. Gegenüber der vorigen Oceanis-Generation biete die Neue allein in der Eignerkammer ein Plus von 40 Zentimetern. In der optionalen Crewkabine im Bug kann der Bootsmann dank der Chines erstmals quer statt längs schlafen. Außerdem reduziere die Rumpfform das bei flachem U- Spant übliche harte Einsetzen in die Welle.
Damien Jacob, der für Fahrtenyachten zuständige Produktmanager bei Beneteau, klingt ebenso überzeugt von dem Konzept. „Wenn man alle Vorteile betrachtet, fragt man sich, warum vor uns noch niemand auf diese Idee gekommen ist“,sagt er. Nach Werftangaben bleibt die 51.1 in der Wasserlinie vorn schmaler als die bisherige Oceanis 48, während sie im Volumen einer 55er entspricht.
Oceanis 51.1: Langer Reifeprozess
So ganz trivial war die Umsetzung der Konstruktion freilich nicht. Mehr als ein Dutzend Varianten hat Olivier Racoupeau am Computer entwickelt und verworfen – mal stimmte die Hydrodynamik nicht, mal missfiel die Ästhetik. „Ich war mir anfangs nicht sicher, ob wir das hinkriegen würden“, räumt Gianguido Girotti ein. „Erst der 25. oder 26. Entwurf passte funktionell wie visuell.“
Insgesamt investierte Beneteau mehr als ein Jahr an Entwicklungsarbeit, bis vor wenigen Wo- chen die erste Yacht zu Wasser ging. Schon vorigen Sommer wurde das Interieur in einem Eins-zu- Eins-Modell aus Sperrholz gebaut und mehrfach modifiziert – ein ungewöhnlich aufwändiger Prozess. Er ist ein Indiz dafür, welche Bedeutung die Werft dem Flaggschiff der neuen Oceanis-Reihe zuschreibt. Mit der 51.1 und ihren künftigen Schwestermodellen will Vorstandschef Hervé Gastinel die Marke wieder flottmachen, nachdem in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren die Konkurrenz stark von achtern aufgekommen war: Bavaria mit dem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis, Dufour mit mehr Raffinesse, Hanse mit größerer Individualisierbarkeit, die Konzernschwester Jean- neau mit den innovativeren Ideen.
Damit soll nun Schluss sein. Annette Roux, Enkelin von Firmengründer Benjamin Beneteau und nach wie vor aktives Mitglied im Aufsichtsrat der börsennotierten Werftengruppe, hat höchstpersönlich dafür gesorgt, dass die Segel neu getrimmt werden. Sie war es, die mit Hervé Gastinel als CEO und Gianguido Girotti als Marketing-Direktor die beiden führenden Köpfe der Operation Attacke in Position brachte – jeder von ihnen auf seine Weise eine Idealbesetzung: erfahren und durchsetzungsstark, aber auch lernwillig und veränderungsbereit.
Was sie vorhaben, ließ voriges Jahr bereits die Oceanis Yacht 62 erahnen. Beneteaus Einstieg in den Luxusmarkt errang prompt den Titel Europas Yacht des Jahres und übertrifft im Verkauf bis heute alle Erwartungen. Auch die Figaro 3 setzt dieser Tage Zeichen: als erste Kielyacht mit Foils, die in Großserie gebaut wird.
Vor diesem Hintergrund verwundert dann auch die mutige Linienführung der 51.1 nicht. Die vorlichen Chines sind ein Sinnbild jenes Aufbruchs, den Beneteau gerade insgesamt vollzieht : konsequent, selbstbewusst, zukunftsorientiert.
Oceanis 51.1: Hunderte Varianten
Es wäre jedoch falsch, die Oceanis nur auf diese eine Eigenheit zu reduzieren – sie ragt auch sonst hervor. Dabei kommt ihr zugute, dass die direkten Wettbewerber in der 15-Meter-Klasse alle auf deutlich älteren, wenn auch modellgepflegten Entwürfen basieren. Sie ist also die auf Sicht einzige komplette Neuentwicklung in ihrem Segment.
Mehr noch: Kein anderes Boot ihres Formats weist eine derart große Wandelbarkeit auf. Allein acht verschiedene Kajütlayouts bietet die Werft, von der Standardversion mit drei Kammern und zwei Nasszellen bis zum Boot mit fünf Doppelkabinen, drei Bädern und Skipperkoje. Den Ausbau kann man wahlweise in zwei Holzsorten ordern.
Das alles lässt sich wiederum kombinieren mit fünf verschiedenen Segelplänen, zwei Großschotsystemen, ferner drei Kielvarianten und drei verschiedenen Antrieben – nebst zahlreichen sinnvoll zusammengestellten Ausrüstungspaketen und Dutzenden von Einzel-Optionen. Je nach Belieben kann die 51.1 also ganz unterschiedliche Ausprägungen haben: als Charterboot mit möglichst vielen Kojen und einfach zu bedienenden Rollsegeln, als komfortabel ausgerüstete Familienyacht, aber auch als Performance-Cruiser für leistungsorientierte Eigner. Um diese enorme Spanne abzudecken, leistete sich Beneteau früher drei Modellreihen. Heute, sagt Gianguido Girotti, reiche eine.
Oceanis 51.1: Große Bandbreite
Wie gut funktioniert diese Spreizung? Wie viel Kompromisse erfordert sie? Um das herauszufinden, hatten wir zwei Tage lang Zeit, die Baunummer 1 zu testen, die unter Deck der Standard-Konfiguration entspricht. Statt in Mahagoni ist sie allerdings in heller Eiche ausgebaut, deren gebürstete, leicht strukturierte Oberfläche einen hochwertigen Eindruck vermittelt.
Bei einem Besuch der Werft im nahegelegenen St. Gilles konnten wir ferner drei weitere Boote in der Fertigung begutachten, darunter auch die Fünf-Kabinen-Version. Selbst in dieser Ausführung mit je zwei Doppelkabinen vorn und achtern sowie einer Kammer mit zwei übereinander angeordneten Einzelkojen an Steuerbord neben dem Niedergang funktioniert die Kajütaufteilung überraschend gut, geht das Platzangebot sehr in Ordnung – insbesondere im Vorschiff, wo die Kimmkanten genau dort Raum schaffen, wo er am nötigsten gebraucht wird: auf Höhe der Kojen.
Schlau gelöst hat Beneteau die hier durchweg verbaute Nasszelle, die aber auch für alle anderen Layouts verfügbar ist. Trotz kompakter Maße lässt sie es an nichts missen. Ein schwenkbares Modul, das den Waschtisch trägt, dient dabei in ausgeklapptem Zustand als Trennwand beim Duschen.
Besonders wirkungsvoll kommt das von Nauta entwickelte Interior-Design natürlich in der Drei-Kabinen-Version zur Geltung. Deren Eignerkammer erschiene selbst für eine 60-Fuß-Yacht der Luxusklasse als angemessen, so weitläufig und stilsicher ist sie gestaltet. Von der üppigen Doppelkoje mit seitlichen Bänkchen hat man direkten Seeblick durch die großen Rumpffenster. Zwei getrennte Bäder, eines mit WC, eines mit Dusche, unterstreichen den hohen Komfortanspruch.
Und nicht nur hier überzeugt das Ambiente. Auch achtern finden Gäste in zwei großen, lichten Doppelkabinen allen Platz, den man sich an Bord nur wünschen kann. Im Salon haben die Architekten eine in dieser Form ebenfalls beeindruckende Aufteilung geschaffen. Die Pantry an Backbord liegt etwas weiter vorlich als sonst üblich und damit direkt vis-à-vis der Sitzgruppe. Eine umlaufende Bank, die an ihrer Flanke angrenzt, verbindet die Küche mit der vor dem Hauptschott liegenden Navigation und einer dort ausziehbaren Chaiselonge. Statt funktionaler Trennung favorisiert Beneteau eine Verschmelzung der zentralen Bereiche, die den angenehmen Nebeneffekt hat, dass der Raum dadurch in jede Richtung gestreckt wird.
Es gibt gleichwohl noch Luft nach oben. Obwohl das Finish für ein Boot der Vorserie bemerkenswert gut ist, und obwohl unter Deck trotz der Vielzahl an Varianten keine konzeptionellen Schwächen erkennbar sind, besteht vereinzelt Optimierungs- potenzial.
An Deck äußert sich das Bemühen um die Markt- und Innovationsführerschaft etwa in der aufwendig gestalteten Badeplattform. Diese öffnet und schließt elektrisch und verfügt über eine breite Stufe, die den Zugang erleichtert. Nicht selbstverständlich, aber überaus praktisch ist auch die Teilung der Püttinge. Weil die Oberwanten am Rumpf, die Unterwanten auf dem Kajütdach angreifen, bleibt das Laufdeck unverstellt. Geradezu idealtypisch ist die große Segellast, die problemlos Code Zero, Gennaker und bei Bedarf weitere Tücher, Fender oder Sonstiges schluckt. So muss niemand schwere Zusatzsegel nach achtern schleppen und in der Backskiste verstauen.
Zum Top-Test trat die 51.1 zumindest zu weiten Teilen als Sportversion an – der sogenannten First Line, erkennbar am roten Zierstreifen im Rumpf. Der Name ist eine Reverenz an die einst höchst erfolgreiche, inzwischen aber arg ausgedünnte Baureihe von Cruiser/Racern, deren Erneuerung Hervé Gastinel und Gianguido Girotti mittelfristig ebenfalls anstreben. In dieser Konfiguration trägt die Oceanis einen 2,80 Meter tief gehenden T-Kiel samt Bleibombe und dazu einen um anderthalb Meter höheren Mast, der gegenüber dem Basisboot rund 35 Prozent mehr Segelfläche ermöglicht (Segeltragezahl 4,74 statt 4,03)
Oceanis 51.1: Starker Einstand
In Les Sables war allerdings noch ein Standardrigg gestellt, das mit 105-Prozent-Genua statt Selbstwendefock und konventionell gerefftem Groß etwa der mittleren Leistungsstufen entspricht (STZ 4,5). In frischem, böigem Wind und bei ruppiger, zudem konfuser See konnte die Beneteau in dieser Konfiguration problemlos Vollzeug tragen. Überkomplett ausgestattet und mit vollen, zusammen fast 1.200 Liter fassenden Tanks brauchte sie die Fläche auch, um richtig ins Laufen zu kommen. Selbst unter Code Zero – ein Gennaker stand leider nicht zur Verfügung – erwies sie sich jederzeit als steif und kurstreu.
Die ermittelten Geschwindigkeiten geben noch nicht das volle Potenzial der Yacht wider. Sie waren insbesondere am Wind von der Tide und dem dadurch beeinflussten Wellenbild beeinträchtigt, deuten die Leistungsfähigkeit der Konstruktion aber an. Aufgrund des sehr direkt übersetzten Ruders, das nur 1,25 Umdrehungen von Anschlag zu
Anschlag braucht, lässt sich die Oceanis ausgesprochen effizient und gefühlvoll führen, ohne dabei viel Kraft zu erfordern. So kann man das Boot mit kleinsten Steuerbefehlen und guter Übersicht durch die See dirigieren, was großen Spaß bereitet.
Die vorderen Kimmkanten erwiesen sich beim Probeschlag in der aufgewühlten Biskaya als unauffällig. Sie verhinderten jedoch nicht, dass der Rumpf gelegentlich in der Welle schlug – was wegen deren Tücke auch nicht verwunderte.
Durchdacht ist die Anordnung von Winschen, Hebelklemmen und Abklemmern, die sich vor und neben den Steuersäulen gruppieren. So liegen sie im Zugriff des Rudergängers. Zum Kurbeln muss man sich aber nach unten und nach Lee recken, weshalb elektrisch betriebene Winden eine enorme Erleichterung bedeuten.
In der Summe ihrer Eigenschaften überzeugt Beneteaus Neue am Ende auf nahezu ganzer Linie. Dank der hohen Individualisierbarkeit kann sie für viele Eigner genau die richtige Yacht sein. Ein Hingucker ist sie ohnehin. Wohl auch deshalb müssen sich Interessenten mindestens ein Jahr gedulden – was selbst ihre Macher maßlos verblüfft hat.
Hier finden Sie eine Übersicht von Testberichten zu allen Yachten